Von der Nacht in den Morgen
Ich beobachte deine Hände; flink sind sie, waren sie schon
damals. Alles an dir ist flink und ich genieße das, denn ich bin es nicht. Wir
gehen essen und du stibitzt Frühlingsrollen von meinem Teller. Ich lass dich
gewähren. Beobachte die Freude in deinen Augen, den Schalk der dort hervor
schlägt und lacht.
Wir unterhalten uns übers Früher, sitzen auf deinem Balkon
und schauen biertrinkend in den Nachthimmel aus dessen Wolkenhülle immer mal
wieder ein Stern hervor lugt. Ich erzähle viel an diesem Abend. Von meiner
Theorie übers Scheitern und du hörst zu. Von meinen Erlebnissen auf der
Klassenfahrt mit siebzehn und du lachst. Von meinem Kindheitstraum Kosmonaut zu
werden und ich sehe in deine Auge – Noch so eine Sache die ich immer mochte,
die ich stundenlang betrachten konnte.
Aber du hast uns nie so gesehen, oder? Du nippst an deinem
Bier und nimmst dir eine Zigarette, ziehst ein paar Mal dran und denkst an
etwas anders. Auch ich nehme mein Bier, trinke es aus und rauche – die letzte
Zigarette. Wir reden über Abschied und ich sage, dass ich jetzt nach Hause
müsse. Spät ist es geworden, jedenfalls tue ich so. Ich habe die Spiele satt,
das ewige Flirten und Warten. Natürlich geht das nur mir so. Für dich ist es
immer alles klar, zumindest tust du so. Aber aus meiner Sicht ist dies auch
stets Teil einer gut einstudierten Matinee. Mir sind die Rollen, welche wir
jetzt schon so lange spielen über. Du bist immer der Zauberer und ich das
Publikum, das staunt und in freudiger Erwartung da sitzt. Du zeigst deine
Tricks und ich applaudiere, gefangen von deiner Präsenz, deinem Willen
unterworfen und ausgeliefert, bis du schließlich entscheidest von der Bühne zu
gehen und mich im sich leerenden Zuschauerraum betäubt und sehnsüchtig zurück
lässt. Es war immer so, seit wir uns das erste Mal trafen und ich kann es
gerade einfach nicht mehr.
Auf dem Weg nach Hause lasse ich den Abend Revue passieren.
Ich weiß, dass ich die Umarmung, die netten Worte und langen Blicke nicht
überbewerten sollte. Ich lasse diesen Gedanken auch nicht mehr so
uneingeschränkt zu, aber ich bin müde, zumindest für heute. Darum erlaube ich
mir zu träumen, denke an dich, deine Lippen, Hände und Augen. An deinen
Hintern, deine Brüste und daran, wie es sein würde mit dir zu ficken. Mir
steigt dein Geruch in die Nase und macht meine Müdigkeit um das Spiel
vergessen; wischt sie hinfort und ersetzt sie durch Verlangen, das mit dem
Bewusstsein um die Unmöglichkeit es zu stillen, ergänzt wird. Die Unfähigkeit
des Umgangs und Gewissheit darum treibt mich in die nächste Bar und mit dem
ersten Bier kommt auch die Traurigkeit. Alles Weitere läuft so wie immer in
diesen Momenten.
Ich rufe eine Bekannte an, will nicht alleine trinken und
traurig sein. Sie auch nicht. Wir sitzen zusammen und mit der Überzeugung eines
Darstellers in einer dieser Fake-Reality-Sendungen tun wir so, als wäre alles
zufällig. Keiner spricht, jeder kennt seine Aufgabe und erfüllt sie mit einer
Routine, die schon an Langeweile grenzt. Ist auch nicht so schwer, wir haben
das ja schon oft genug geprobt. Man kennt sich und weiß, was der andere mag.
Zwei sich umschlingende Beladene. Wir vögeln uns das Hirn raus und versuchen so
die Schmerzen zu verbannen. Ihr geht es nicht anders als mir und so haben sich
zwei gefunden, die unfähig sind, ihr Selbst zu überwinden.
Am nächsten Morgen stehe ich auf und hinter den
Kopfschmerzen und den grauschattierten Augen, die von verstörenderen Nächten
als der letzten erzählen, flüstert das Wissen um ein Scheitern. Ich schau rüber
zu dem Mädchen, das da neben mir liegt. Noch schlafend und träumend liegt sie
da, eingerollt in ihre Bettdecke. So nah, so schön, warm und gut. Und doch kann
ich nicht, höre ich in mich hinein und spüre nichts. Ein Bedauern vielleicht,
besten Falls eine Form der Dankbarkeit für die geteilten Stunden.
Später trinken wir noch zusammen Kaffee; sitzen uns
gegenüber und sagen nicht mehr als notwendig, gefangen in unseren eigenen
Welten, die nichts miteinander teilen und sich nur in ihrer Peripherie
überschnitten haben. Ich frage sie, warum sie so traurig ist. Sie erzählt mir
von ihrer Liebe. Ich kenne die Geschichte. Es ist meine eigene nur mit anderen
Protagonisten und auch wenn hier der Zauberer vor mir sitzt und nicht der
Zuschauer, so unterscheidet die Beiden dieses Mal nicht von einander. Sie
zaubert nicht für mich und ich will es auch nicht. Stattdessen erzählt sie von
ihren Zweifeln und von ihren Bedenken; ich denke an dich und sage, dass man
manchmal einfach springen muss, dass die Angst vor dem Versagen allen schadet,
dass es das Wertvollste auf der Welt ist, jemanden zu haben, den man lieben
kann.
Ich trinke den Kaffee aus und verabschiede mich, mit dem
Entschluss mich nicht noch einmal zu wiederholen und den Worten, dass sie sich
aufraffen und ruhig mal etwas wagen solle. Glaube nicht, dass sie es machen
wird.
Auf der Straße sticht die Sonne und die Menschen rennen von
A nach B. So scheiß surreal.
Ich frage mich, warum nicht mit ihr und kenne die Antwort:
Sie ist nicht du.
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