Von der Nacht in den Morgen

"Von der Nacht in den Morgen" a short story by Wolf-Peter Arand
Ich beobachte deine Hände; flink sind sie, waren sie schon damals. Alles an dir ist flink und ich genieße das, denn ich bin es nicht. Wir gehen essen und du stibitzt Frühlingsrollen von meinem Teller. Ich lass dich gewähren. Beobachte die Freude in deinen Augen, den Schalk der dort hervor schlägt und lacht.

 Wir unterhalten uns übers Früher, sitzen auf deinem Balkon und schauen biertrinkend in den Nachthimmel aus dessen Wolkenhülle immer mal wieder ein Stern hervor lugt. Ich erzähle viel an diesem Abend. Von meiner Theorie übers Scheitern und du hörst zu. Von meinen Erlebnissen auf der Klassenfahrt mit siebzehn und du lachst. Von meinem Kindheitstraum Kosmonaut zu werden und ich sehe in deine Auge – Noch so eine Sache die ich immer mochte, die ich stundenlang betrachten konnte.

 Aber du hast uns nie so gesehen, oder? Du nippst an deinem Bier und nimmst dir eine Zigarette, ziehst ein paar Mal dran und denkst an etwas anders. Auch ich nehme mein Bier, trinke es aus und rauche – die letzte Zigarette. Wir reden über Abschied und ich sage, dass ich jetzt nach Hause müsse. Spät ist es geworden, jedenfalls tue ich so. Ich habe die Spiele satt, das ewige Flirten und Warten. Natürlich geht das nur mir so. Für dich ist es immer alles klar, zumindest tust du so. Aber aus meiner Sicht ist dies auch stets Teil einer gut einstudierten Matinee. Mir sind die Rollen, welche wir jetzt schon so lange spielen über. Du bist immer der Zauberer und ich das Publikum, das staunt und in freudiger Erwartung da sitzt. Du zeigst deine Tricks und ich applaudiere, gefangen von deiner Präsenz, deinem Willen unterworfen und ausgeliefert, bis du schließlich entscheidest von der Bühne zu gehen und mich im sich leerenden Zuschauerraum betäubt und sehnsüchtig zurück lässt. Es war immer so, seit wir uns das erste Mal trafen und ich kann es gerade einfach nicht mehr.

 Auf dem Weg nach Hause lasse ich den Abend Revue passieren. Ich weiß, dass ich die Umarmung, die netten Worte und langen Blicke nicht überbewerten sollte. Ich lasse diesen Gedanken auch nicht mehr so uneingeschränkt zu, aber ich bin müde, zumindest für heute. Darum erlaube ich mir zu träumen, denke an dich, deine Lippen, Hände und Augen. An deinen Hintern, deine Brüste und daran, wie es sein würde mit dir zu ficken. Mir steigt dein Geruch in die Nase und macht meine Müdigkeit um das Spiel vergessen; wischt sie hinfort und ersetzt sie durch Verlangen, das mit dem Bewusstsein um die Unmöglichkeit es zu stillen, ergänzt wird. Die Unfähigkeit des Umgangs und Gewissheit darum treibt mich in die nächste Bar und mit dem ersten Bier kommt auch die Traurigkeit. Alles Weitere läuft so wie immer in diesen Momenten.

 Ich rufe eine Bekannte an, will nicht alleine trinken und traurig sein. Sie auch nicht. Wir sitzen zusammen und mit der Überzeugung eines Darstellers in einer dieser Fake-Reality-Sendungen tun wir so, als wäre alles zufällig. Keiner spricht, jeder kennt seine Aufgabe und erfüllt sie mit einer Routine, die schon an Langeweile grenzt. Ist auch nicht so schwer, wir haben das ja schon oft genug geprobt. Man kennt sich und weiß, was der andere mag. Zwei sich umschlingende Beladene. Wir vögeln uns das Hirn raus und versuchen so die Schmerzen zu verbannen. Ihr geht es nicht anders als mir und so haben sich zwei gefunden, die unfähig sind, ihr Selbst zu überwinden.

 Am nächsten Morgen stehe ich auf und hinter den Kopfschmerzen und den grauschattierten Augen, die von verstörenderen Nächten als der letzten erzählen, flüstert das Wissen um ein Scheitern. Ich schau rüber zu dem Mädchen, das da neben mir liegt. Noch schlafend und träumend liegt sie da, eingerollt in ihre Bettdecke. So nah, so schön, warm und gut. Und doch kann ich nicht, höre ich in mich hinein und spüre nichts. Ein Bedauern vielleicht, besten Falls eine Form der Dankbarkeit für die geteilten Stunden.

 Später trinken wir noch zusammen Kaffee; sitzen uns gegenüber und sagen nicht mehr als notwendig, gefangen in unseren eigenen Welten, die nichts miteinander teilen und sich nur in ihrer Peripherie überschnitten haben. Ich frage sie, warum sie so traurig ist. Sie erzählt mir von ihrer Liebe. Ich kenne die Geschichte. Es ist meine eigene nur mit anderen Protagonisten und auch wenn hier der Zauberer vor mir sitzt und nicht der Zuschauer, so unterscheidet die Beiden dieses Mal nicht von einander. Sie zaubert nicht für mich und ich will es auch nicht. Stattdessen erzählt sie von ihren Zweifeln und von ihren Bedenken; ich denke an dich und sage, dass man manchmal einfach springen muss, dass die Angst vor dem Versagen allen schadet, dass es das Wertvollste auf der Welt ist, jemanden zu haben, den man lieben kann.

 Ich trinke den Kaffee aus und verabschiede mich, mit dem Entschluss mich nicht noch einmal zu wiederholen und den Worten, dass sie sich aufraffen und ruhig mal etwas wagen solle. Glaube nicht, dass sie es machen wird.

 Auf der Straße sticht die Sonne und die Menschen rennen von A nach B. So scheiß surreal.

 Ich frage mich, warum nicht mit ihr und kenne die Antwort: Sie ist nicht du.

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