Horscht klagt an

 Das war ein Paukenschlag! Horst Seehofer, Innenminister der Bundesrepublik Deutschland und strammer CSUler, droht Kraft seines Amtes die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah zu verklagen, weil ihm ihre Kolumne nicht passt. Horscht zuvorgekommen, sind die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sowie die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die die taz wegen Volksverhetzung angezeigt haben. 

 Ich lasse diese Fakten vom 22.06.2020 hier einfach mal einen Moment stehen, damit sie wirken können. 

 Der Artikel, um den es in der Debatte geht, wurde am 15.06.2020 als Kolumne In der taz veröffentlicht. Im Wesentlichen spielt die Autorin darin ein fiktives Szenario durch, in dem die Polizei abgeschafft wurde - und hier der wichtige Teil - der Kapitalismus aber nicht. Welche Berufsaussichten gibt es für Polizisten in einem solchen - erneut wichtig - fiktiven Szenario? Da ein “Fascho-Mindset […] in dieser Berufsgruppe [Polizei, Anm. Autor] überdurchschnittlich hoch” vertreten sei, kommt Yaghoobifarah nach einiger - wichtig - fiktional-satirischer Reflexion zu dem Schluss, dass lediglich eine Position auf einer Mülldeponie für die Restgesellschaft unbedenklich sei. 

 Das ist der Zankapfel für den eine Journalist_in von zwei Polizeigewerkschaften und Horst Seehofer, nochmal, Innenminister der Bundesrepublik Deutschland und strammer CSUler, verklagt werden könnte/soll/wird. 

 Nehmen wir die Sache mal auseinander. Laut Duden ist eine Kolumne, ein “von stets demselben [prominenten] Journalisten verfasster, regelmäßig an bestimmter Stelle einer Zeitung oder Zeitschrift veröffentlichter Meinungsbeitrag”. Über die Prominenz  der Autorin lässt sich streiten, aber darum steht das im Duden auch in eckigen Klammern. Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah schreibt in jedem Fall regelmäßig und wiederkehrend an einer bestimmten Stelle der taz in Form von Meinungsbeiträgen. Um selbiges handelt es sich bei dem zur Debatte stehenden Artikel - um einen Meinungsbeitrag. Eine Kolumne. Die muss uns als Privatmenschen nicht passen, aber sie sind großzügig durch die Pressefreiheit geschützt. Und das gilt für alle, auch für einen Artikel von Frau Yaghoobifarah in der taz, der dem Innenminister, der DPolG und der GdP nicht passt. 

 Dagegen steht die Klage der DPolG und GdP für Volksverhetzung gegen die taz. In dem entsprechenden Gesetzestext, der den Tatbestand der Volksverhetzung definiert, geht es unter anderem um den Aufruf zu Hass gegen bestimmte Gruppen oder Einzelne der Gesellschaft, um Aufrufe zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen, um Herabwürdigung der Menschenwürde und um Billigung einer unter dem Nationalsozialismus durchgeführten Handlung. Das ist das Spielfeld, in dem man sich da bewegt. Und ja, einige Beiträge, die als Kolumnen und Meinungen getarnt werden, erfüllen eben diesen Tatbestand. Der zur Debatte stehende Artikel gehört nicht dazu. Er markiert das dargestellte Szenario klar und eindeutig als Fiktion und in gewisser Weise als Dystopie, in der zwar die Polizei abgeschafft wurde, der eigentliche Kern des Übels aber weiter existieren darf. Es geht daher nicht um einen Aufruf zum Hass gegen Polizisten, oder um Volksverhetzung, ein solcher Vorwurf ist absurd und enthüllt eine gewisse geistige Umnachtung und willkürliche Schnappreflexe von Seiten der DPolG und GdP, sondern um eine Abwendung vom Kapitalismus, ohne die eine wirkliche Veränderung unmöglich ist. Denn ja, Rassismus und Kapitalismus sind in auf Gedeih und Verderben eng miteinander verflochten. Der Kapitalismus braucht den Rassismus, um seine menschenverachtenden Mechanismen, die separieren und klassifizieren, zu legitimieren, und der Rassismus braucht den Kapitalismus, konkret, das kapitalistische Klassendenken, um als Weltanschauung existieren zu können.

 Jetzt die Frage: In was für einem Land leben wir eigentlich, in dem einem satirischen Meinungsartikel, der klar als solcher gekennzeichnet ist und rassistisches Klassendenken anprangert, mit Klagen wegen Volksverhetzung gedroht wird? Diese Dreistigkeit von Seiten des Innenministers und der beiden Gewerkschaften lässt nur zweierlei Schlussfolgerungen zu: Dummheit oder eine deutliche Agenda, die von Blindheit auf dem rechten Auge zeugt und ein gefährlich-fehlerhaftes Verständnis fundamentaler Rechtsbegriffe offenbart. Sowohl der Polizeigewerkschaft, als auch dem strammen, klagenden Horscht muss die Frage gestellt werden, ob sie nichts besseres zu tun haben. Denn es gibt eine lange Liste an tatsächlichen, drängenden, konkreten Problemen, um die es sich zu kümmern gilt, zum Beispiel die Ausjätung von Rassisten im polizeilichen und öffentlichen Dienst. Das erfordert kontinuierliche, beständige Arbeit und ist nicht mit ein paar Pressekonferenzen und Talkshowauftritten getan. Denn ja, dieser Rassismus existiert, schon deshalb, weil die deutsche Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Ich weiß nicht, in was für einer Welt die Verantwortlichen der DPolG und GdP oder Horscht leben, aber in dem Deutschland, dass ich kenne, ist Rassismus noch immer ein alltägliches Bild. Von kleinen, schmerzhaften Spitzen bis zu offen ausgelebten Morden ist da alles dabei. Das zu bekämpfen ist umständlich, langwierig und kompliziert, und wenn sich die zuständigen Personen dessen nicht gewachsen fühlen, dann müssen sie entlassen werden, denn der Fisch fängt immer vom Kopf her an zu stinken, und ja, das meint auch dich, Horscht, du strammer CSUler und Innenminister der Bundesrepublik Deutschland.

Quellen
Yaghoobifarah, Hengameh: “Abschaffung der Polizei”, in taz, 15.06.2020 - https://taz.de/Abschaffung-der-Polizei/!5689584/

“Horst Seehofer will "taz"-Autor_in wegen Polizeikolumne anzeigen”, in ZEIT Online, 22.06.2020 - https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/horst-seehofer-taz-kolumne-polizei-muelldeponie-anzeige-hengameh-yaghoobifarah

Strafgesetzbuch, §130 Volksverhetzung - https://dejure.org/gesetze/StGB/130.html

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

13.000 oder: Horscht sucht seinen Beinamen

Review "Beyond the Frontline"

Der Protest der Egoisten