Freunde
„Es gibt keine Geschichten mehr für mich zu schreiben“, er
kotzt diesen Satz raus, als wäre es der klägliche Rest der vorangegangenen
Nacht. Dann zieht er an seiner Kippe und nimmt einen Schluck von seinem Bier.
Wir sitzen schon eine ganze Weile zusammen und dementsprechend, ist es auch
nicht mehr die erste Flasche, die er leert. Ich versuche ihn nicht mehr zu
beschwichtigen. Dafür kennen wir uns schon zu lange und dafür ist er schon ein
bisschen zu tief in seinem Selbstmitleid versunken. Ich sitze einfach da und
höre zu. Hin und wieder nicke ich, oder gebe irgendein Signal meiner
Anwesenheit, damit er weiter in seinem Monolog fortfahren kann. Freund zu sein,
ist nicht immer leicht. Meistens verlangt diese Position viel Geduld und guten
Willen. Oft ist sie einfach nur anstrengend. Insbesondere dann, wenn sich der
beste Freund gerade von seiner Liebsten getrennt hat … Nein, eigentlich hat sie
sich von ihm getrennt. Er besteht auf diese Feinheit, schließlich ist er
Schriftsteller, zwar schreibt er derzeit nicht, aber es fehlen einfach die
Geschichten. Dabei erzählt er doch eigentlich die ganze Zeit irgendwelche.
Zugegebenermaßen sind die alle erbarmungswürdig, traurig oder anderweitig
frustrierend, aber das ist es ja nicht worauf es bei einem Schriftsteller
ankommt, oder?
Eine seiner Geschichten geht folgendermaßen: „Seit letztem
Wochenende fühlt sich alles taub an. Egal was. Essen schmeckt mir nicht. Schlaf
ist traumlos, oder alptraumhaft. Die Libido ist im Keller und selbst das
Flirten macht keinen Spaß mehr. Es ist alles verschwunden.“
„Weißt du was das Schlimmste ist? Ich kann mich nicht mal
mehr dazu aufraffen zu schreiben, oder einen Film zu genießen, oder ein Buch zu
lesen, oder Musik zu hören. Vom Musik machen ganz zu schweigen. Ich kann ‘s
einfach nicht mehr. Ich horche in mich rein und finde nur eine dumpfe Stille.
Was soll ich damit anfangen, kannst du mir das mal sagen? Was soll ich machen,
wenn mich nichts mehr wirklich interessiert? Ich muss mich doch für irgendetwas
begeistern, damit ich darüber schreiben kann, damit ich eine Geschichte darauf
formen kann.“
Dann lässt er den Kopf hängen und nuckelt weiter an seinem
Bier. Ich möchte ihm sagen, dass er sich nicht so hängen lassen soll, dass es
zwar traurig isst, wenn man verlassen wird, aber dass das Leben doch weiter
geht, dass es noch viele neue Dinge zu entdecken und zu erleben geben wird. Ich
möchte ihn packen, schütteln und anbrüllen, dass er sich jetzt nicht hängen
lassen soll, sondern dass er gleich wieder auf das Pferd steigen muss, sonst
läuft er Gefahr eine Furcht vor dem Fallen zu entwickeln, die ihn nicht
schützt, sondern übermannt. Doch ich sage all das nicht. Zum einen, weil ich
weiß, dass er mir nicht zuhören würde. Zum anderen, weil ich selber nicht so
ganz dran glaube. Vielleicht ist das das Hauptproblem an Freunden, die von
ihren Freundinnen verlassen werden: Sie erinnern uns daran, dass wir es sein
könnten, die bald so da sitzen, mit Selbsthass und der dazugehörigen Zerstörung
als engste Vertraute.
Also spreche ich ihm Mut zu, versucht ihm das Gefühl zu
geben, dass es völlig okay ist, wenn er jetzt gerade so traurig ist. Dass
wieder bessere Zeiten kommen werden, er bräuchte nur ein bisschen Geduld.
Schließlich könne es ja jeden Moment geschehen, dass ihm die seines Lebens über
den Weg läuft. Zugegebenermaßen, das ist ein großer Haufen Müll. In seinem
Zustand, will kein Mensch etwas mit ihm zu tun haben. Wer setzt sich schon
gerne in einer Bar neben den wunderlichen Typen, der jämmerlich in sein Bier
weint? Davon einmal abgesehen, bin ich eher ein Freund von der Idee, dass nur
durch unsere eigene Anstrengung ein glückliches Leben möglich ist, nicht durch
die Errettung in Gestalt eines Märchenprinzen beziehungsweise einer
Märchenprinzessin.
Aber manchmal muss man eben lügen, damit sich ein Freund
besser fühlt. Zerbräche er sonst an der Wahrheit? Ich bringe es in solchen
Momenten jedenfalls nicht übers Herz, jemandem an den Kopf zu knallen, dass
er/sie sich doch mal ein wenig zusammen nehmen und klar kommen soll. Ich bin
mir aber ziemlich sicher, dass es eigentlich notwendig wäre.
Tatsächlich läuft es bei ihm derzeit auch nur suboptimal. Er sucht vielversprechend erfolglos nach einem neuen Job und ist derzeit mit sich und seiner gesamten Lebenslage unsicher. Da hätte die Sache mit der Freundin kaum ungünstiger kommen können. Okay, das ist übertrieben. Es gibt immer ungünstigere Situationen, doch bleiben wir spaßeshalber bei der ontologischen Sicht der Dinge.
Tatsächlich läuft es bei ihm derzeit auch nur suboptimal. Er sucht vielversprechend erfolglos nach einem neuen Job und ist derzeit mit sich und seiner gesamten Lebenslage unsicher. Da hätte die Sache mit der Freundin kaum ungünstiger kommen können. Okay, das ist übertrieben. Es gibt immer ungünstigere Situationen, doch bleiben wir spaßeshalber bei der ontologischen Sicht der Dinge.
Manchmal glaube ich, dass man nicht sehr viel mehr verlangen
kann. Ein Lachen, wenn man eigentlich gerade nichts zu lachen hat, ist eine der
schwersten Sachen die es zu erreichen gilt auf dieser Welt. Aber ich denke,
dass es sich lohnt. Ich erzähle meinem Freund von diesen Gedanken und er winkt
nur ab. Wenn ich so viele weise Sprüche hätte, dann solle ich doch lieber schreiben. Er würde ohne viel Widerrede seine Leben mit meinem tauschen.
Solche harten Reaktionen erwischen mich immer etwas auf dem
falschen Fuß. Ich bin nicht sonderlich gut darin, solche Angriffe zu parieren.
Er weiß das und er nutzt mein Unvermögen in diesem Moment voll aus. Ich hasse
ihn dafür. Doch ich sage nichts, grinse nur und nehme einen Schluck von meinem
Bier.
Ich trinke noch eine weitere Flasche leer, rauche noch drei
weitere Kippen und quäle mich zum gefühlten tausensten Mal durch das No
Wow-Album der Kills. Er brauche das jetzt, sagt der Schriftsteller. Vor allem
müsse es laut sein, fügt er noch an. Ansonsten sagt er an diesem Abend kaum
noch etwas. Als ich mich verabschiede, umarmt er mich und dankt mir für alles.
In diesem Moment bin ich mir sicher, dass alles wieder gut werden wird. Er
schließt die Wohnungstür hinter mir und als ich dann auf der Straße vor dem
Haus stehe und zu seiner Wohnung hochblicke, sehe ich, dass in seinem
Arbeitszimmer der grüne Schein der Schreibtischlampe leuchtet. Ich meine das
Klackern der Schreibmaschinenhämmerchen bis zu mir hinab auf die Straße zu hören. Es läuft rhythmisch
und klar. Ein durchweg beruhigendes Geräusch, wie ich finde.
Ich stecke also meine Hände in die Taschen und verschwinde
im U-Bahnhofeingang.
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