Freunde

"Freunde" a short story by Wolf-Peter Arand

„Es gibt keine Geschichten mehr für mich zu schreiben“, er kotzt diesen Satz raus, als wäre es der klägliche Rest der vorangegangenen Nacht. Dann zieht er an seiner Kippe und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Wir sitzen schon eine ganze Weile zusammen und dementsprechend, ist es auch nicht mehr die erste Flasche, die er leert. Ich versuche ihn nicht mehr zu beschwichtigen. Dafür kennen wir uns schon zu lange und dafür ist er schon ein bisschen zu tief in seinem Selbstmitleid versunken. Ich sitze einfach da und höre zu. Hin und wieder nicke ich, oder gebe irgendein Signal meiner Anwesenheit, damit er weiter in seinem Monolog fortfahren kann. Freund zu sein, ist nicht immer leicht. Meistens verlangt diese Position viel Geduld und guten Willen. Oft ist sie einfach nur anstrengend. Insbesondere dann, wenn sich der beste Freund gerade von seiner Liebsten getrennt hat … Nein, eigentlich hat sie sich von ihm getrennt. Er besteht auf diese Feinheit, schließlich ist er Schriftsteller, zwar schreibt er derzeit nicht, aber es fehlen einfach die Geschichten. Dabei erzählt er doch eigentlich die ganze Zeit irgendwelche. Zugegebenermaßen sind die alle erbarmungswürdig, traurig oder anderweitig frustrierend, aber das ist es ja nicht worauf es bei einem Schriftsteller ankommt, oder?
Eine seiner Geschichten geht folgendermaßen: „Seit letztem Wochenende fühlt sich alles taub an. Egal was. Essen schmeckt mir nicht. Schlaf ist traumlos, oder alptraumhaft. Die Libido ist im Keller und selbst das Flirten macht keinen Spaß mehr. Es ist alles verschwunden.“
„Weißt du was das Schlimmste ist? Ich kann mich nicht mal mehr dazu aufraffen zu schreiben, oder einen Film zu genießen, oder ein Buch zu lesen, oder Musik zu hören. Vom Musik machen ganz zu schweigen. Ich kann ‘s einfach nicht mehr. Ich horche in mich rein und finde nur eine dumpfe Stille. Was soll ich damit anfangen, kannst du mir das mal sagen? Was soll ich machen, wenn mich nichts mehr wirklich interessiert? Ich muss mich doch für irgendetwas begeistern, damit ich darüber schreiben kann, damit ich eine Geschichte darauf formen kann.“
Dann lässt er den Kopf hängen und nuckelt weiter an seinem Bier. Ich möchte ihm sagen, dass er sich nicht so hängen lassen soll, dass es zwar traurig isst, wenn man verlassen wird, aber dass das Leben doch weiter geht, dass es noch viele neue Dinge zu entdecken und zu erleben geben wird. Ich möchte ihn packen, schütteln und anbrüllen, dass er sich jetzt nicht hängen lassen soll, sondern dass er gleich wieder auf das Pferd steigen muss, sonst läuft er Gefahr eine Furcht vor dem Fallen zu entwickeln, die ihn nicht schützt, sondern übermannt. Doch ich sage all das nicht. Zum einen, weil ich weiß, dass er mir nicht zuhören würde. Zum anderen, weil ich selber nicht so ganz dran glaube. Vielleicht ist das das Hauptproblem an Freunden, die von ihren Freundinnen verlassen werden: Sie erinnern uns daran, dass wir es sein könnten, die bald so da sitzen, mit Selbsthass und der dazugehörigen Zerstörung als engste Vertraute.
Also spreche ich ihm Mut zu, versucht ihm das Gefühl zu geben, dass es völlig okay ist, wenn er jetzt gerade so traurig ist. Dass wieder bessere Zeiten kommen werden, er bräuchte nur ein bisschen Geduld. Schließlich könne es ja jeden Moment geschehen, dass ihm die seines Lebens über den Weg läuft. Zugegebenermaßen, das ist ein großer Haufen Müll. In seinem Zustand, will kein Mensch etwas mit ihm zu tun haben. Wer setzt sich schon gerne in einer Bar neben den wunderlichen Typen, der jämmerlich in sein Bier weint? Davon einmal abgesehen, bin ich eher ein Freund von der Idee, dass nur durch unsere eigene Anstrengung ein glückliches Leben möglich ist, nicht durch die Errettung in Gestalt eines Märchenprinzen beziehungsweise einer Märchenprinzessin.
Aber manchmal muss man eben lügen, damit sich ein Freund besser fühlt. Zerbräche er sonst an der Wahrheit? Ich bringe es in solchen Momenten jedenfalls nicht übers Herz, jemandem an den Kopf zu knallen, dass er/sie sich doch mal ein wenig zusammen nehmen und klar kommen soll. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es eigentlich notwendig wäre.

 Tatsächlich läuft es bei ihm derzeit auch nur suboptimal. Er sucht vielversprechend erfolglos nach einem neuen Job und ist derzeit mit sich und seiner gesamten Lebenslage unsicher. Da hätte die Sache mit der Freundin kaum ungünstiger kommen können. Okay, das ist übertrieben. Es gibt immer ungünstigere Situationen, doch bleiben wir spaßeshalber bei der ontologischen Sicht der Dinge.
Damit wir nicht die ganze Zeit über die immergleiche Frustration reden, versuche ich da Gespräch auf seine Schriftstellerei zu lenken. Aber es gibt einfach kein Entrinnen aus diesem Malstrom aus Perspektivlosigkeit und Aufgabe. Ich mache ihn auf die Flaschen auf dem Tisch und die vollen Ascher aufmerksam und kommentiere die Dinge mit Bezug auf seine Schreibe, das mir aufgefallen sei, dass alle seine Figuren rauchen und saufen. Er grinst nur. Ich grinse zurück und frage ihn, warum das so ist. Darauf kann er mir nicht antworten, er weiß es halt nicht. Ich schlage ihm vor, dass er vielleicht einfach mal sechs Monate von Hartz IV leben sollte, den lieben langen Tag nur säuft und trinkt und dann einen Erfahrungsbericht daraus macht. Er hält nicht so viel von der Idee, aber lacht immerhin ein bisschen.
Manchmal glaube ich, dass man nicht sehr viel mehr verlangen kann. Ein Lachen, wenn man eigentlich gerade nichts zu lachen hat, ist eine der schwersten Sachen die es zu erreichen gilt auf dieser Welt. Aber ich denke, dass es sich lohnt. Ich erzähle meinem Freund von diesen Gedanken und er winkt nur ab. Wenn ich so viele weise Sprüche hätte, dann solle ich doch lieber schreiben. Er würde ohne viel Widerrede  seine Leben mit meinem tauschen.
Solche harten Reaktionen erwischen mich immer etwas auf dem falschen Fuß. Ich bin nicht sonderlich gut darin, solche Angriffe zu parieren. Er weiß das und er nutzt mein Unvermögen in diesem Moment voll aus. Ich hasse ihn dafür. Doch ich sage nichts, grinse nur und nehme einen Schluck von meinem Bier.
Ich trinke noch eine weitere Flasche leer, rauche noch drei weitere Kippen und quäle mich zum gefühlten tausensten Mal durch das No Wow-Album der Kills. Er brauche das jetzt, sagt der Schriftsteller. Vor allem müsse es laut sein, fügt er noch an. Ansonsten sagt er an diesem Abend kaum noch etwas. Als ich mich verabschiede, umarmt er mich und dankt mir für alles. In diesem Moment bin ich mir sicher, dass alles wieder gut werden wird. Er schließt die Wohnungstür hinter mir und als ich dann auf der Straße vor dem Haus stehe und zu seiner Wohnung hochblicke, sehe ich, dass in seinem Arbeitszimmer der grüne Schein der Schreibtischlampe leuchtet. Ich meine das Klackern der Schreibmaschinenhämmerchen bis zu mir hinab  auf die Straße zu hören. Es läuft rhythmisch und klar. Ein durchweg beruhigendes Geräusch, wie ich finde.
Ich stecke also meine Hände in die Taschen und verschwinde im U-Bahnhofeingang.

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