Review: Turbostaat - "Stadt der Angst"

"Turbostaat - Stadt der Angst" a review by Wolf-Peter Arand
Alles beginnt mit einem Stampfen und Fiepen, dann ist sie da, die neue Turbostaat-Platte „Stadt der Angst“ und wie jedes Mal befürchtet der Rezensent das Schlimmste. Wie jedes Mal erwartet er endlich die scheiß Platte, die kommen muss, nachdem so viele gute kamen. Jene Platte, die endlich nicht mehr mit der vorherigen mithalten kann, die ihn nicht mehr anspricht auf thematischer, musikalischer oder stilistischer Ebene. Es ist der vielleicht einzige Punkt, in dem Turbostaat enttäuscht, "Zum Glück", möchte der Rezensent sagen, doch wagt es nicht.

„Stadt der Angst“ startet mit einem verzweifelten Abgesang auf das junge urbane Leben, das sich in den Städten der Republik entfaltet. „Eine Stadt gibt auf“ pumpt und walzt mit beißenden Gitarren, grummelndem Bass und stampfendem Schlagzeug, bis dann diese gute vertraute Stimme keift: „Siehst du die Fassaden dieser wunderschönen Stadt/ In der jahrelang das Nichts regiert und niemand Freude hat.“ Selten war die turbostaatsche Wut derart finster. Nicht einmal das bereits sehr ernste „Island Manöver“ kommt da ran. An den Stellen an denen vormals eine Lockerung eingefügt wurde, instrumentalisieren die Turbostaatler mit einer zuvor nicht gekannten Konsequenz.

„Eine Stadt gibt auf“ bildet den Auftakt für einen Trip durch die Dystopie, die modernes, dynamisches, junges Leben eigentlich ist und entblößt die Seite, die eigentlich vom urbanen Ironieselbstschutz verdeckt wird. Turbostaat sind bei weitem nicht ironiefrei, aber es ist eine andere Ironie, die nicht verbergen soll, eine die jenen, der sie äußert, nicht schützt, eine die offenlegt, dass hier jemand ein wirkliches Anliegen hat. Das alles und mehr werfen Turbostaat ihren Hörern entgegen, mal zynisch („Tut es doch weh“) mal wütend („Phobos Grunt“).

Aber da ist immer eine Anteilnahme eine Empörung, man hört sie z.B. bei „Tut es doch weh“. Sie manifestiert sich nicht nur in Martens Texten, sondern vor allem auch in der Instrumentierung und der organischen, ja offenen Produktion von Moses Schneider. Es ist eine eigenartige Sache, dass „Stadt der Angst“ fragiler und facettenreicher wirkt als alle vorhergegangenen Turbostaat-Alben, im gleichen Augenblick aber auch aggressiver, roher und präsenter als alles was sie zuvor gemacht haben. Toberts Bass und Peters Schlagzeug treiben den Hörer ohne Kompromisse durch die Songs. Das Gitarrenduo aus Rotze und Marten greift so exakt ineinander, dass die vielen Jahre, die Beständigkeit und der gemeinsam zurückgelegte Weg nicht zu negieren sind. Diese Band ist eine musikalische Einheit und verdammt noch mal sowas von in Form. Die kleinen Fehler sind geschenkt. Wenn es sie denn geben sollte, so fallen sie nicht auf(dem Rezensenten zumindest nicht).

„Psychoreal“ schließlich ist ein Wutausbruch, der nach dem eher rhythmitisierenden „Tut es doch weh“ kurzen Prozess macht, mit dem Moment, mit dem Verständnis (nur vorläufig) und mit den Erwartungen an Leben und Erfolg. Und hier offenbart sich eine Kunst von „Stadt der Angst“, die Platte verliert den Zuhörer zu keinem Moment. Das ist vielleicht der Herangehensweise geschuldet: Diese Platte ist als Vinyl-LP konzipiert und das merk der Hörer. Die Songs sind in ihrer Reihenfolge so arrangiert, dass man die Platte umdrehen möchte, dass man motiviert ist, diese Extrabewegung auszuführen. In einer Zeit der allgemeinen Bequemlichkeit eine Kunst, die nicht zu unterschätzen ist.

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Mit „Sohnemann Heinz“ beginnt die B-Seite und da ist er dann auch, der ganz klassische Turbostaat-Song 2013 – Melodiebögen, Rhythmuswechsel (nicht zu viele), Intro, Outro und eine Stimme, die gegen den Wind anzubrüllen scheint. Die Stimme … Wer sie noch nie mochte, wird auf der „Stadt der Angst“ nicht damit anfangen. Für alle anderen gilt: Aus Sicht des Rezensenten ist es die vielleicht bisher ausgewogenste und intensivste Performance seit Bandgründung.

„Sohnemann Heinz“ leitet quasi den Mittelteil dieser Reise durch die Schattenseiten der Urbanität ein. Der Rezensent ist mittendrin im Konstrukt aus Fäulnis und Schein. „Fresendelf“ schraubt das Tempo herunter und die Dynamik hoch. Ein würdiger „Schwan“-Nachfolger, aber irgendwie doch anders. Zum Glück. Assoziativ wie immer – Geht es um Gott, oder um einen Penner? Vielleicht liegt das gar nicht so weit auseinander. Vielleicht ist es auch gar nicht wichtig, solange ein Eindruck bleibt. In gewisser Weise also impressionistische Musik, die Turbostaat da machen. „Alles bleibt konfus“ ist poppiger, aber doch schräg, irgendwie. Gedanken an Kurt Weil und Bert Brecht kommen dem Rezensenten, gerade im Intro von. Dieser Song ist so klar und doch so verschachtelt, wie kaum ein anderer auf „Stadt der Angst“.

Auf dem letzten Song der B-Seite wird es dann musikalisch wieder kraftvoller. Die Band trampelt mit einem wuchtigen 2/4 Takt herum und produziert ein wunderbares Liebeslied, ohne dies vielleicht im Sinn gehabt zu haben. Ein echter Herzschmerzsong, der ohne Schnulze auszukommen versteht. Vielleicht die nordischste Reaktion, die der Rezensent seit langem erlebt hat: „Manche nannten es das Ende und es fühlt sich auch so an. Das ist scheiße“.

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Seite C beginnt mit einer Abrechnung. Zu „Pestperle“ ist viel gesagt und geschrieben worden. Muss hier nicht alles wiederholt werden. Ein guter, ein wichtiger, ein kluger Song, dem man sich lediglich getrost anschließen kann. Hier geht etwas zu Ende und das ist zu spüren, ob im finsteren „In Dunkelhaft“ oder in „Willenshalt“. Langsam dämmert es, dass es keine Auswege gibt, dass etwas fehlt, dass man zurückgelassen wurde an einem finsteren Ort. Hier kommt niemand weg und wer nicht mithalten kann, ist raus. Mithalten, dass kann Turbostaat mit „Willenshalt“ in jedem Fall. Der Song klingt wie ein gemeiner Bruder eines Songs aus der Hochzeit der Beatsteaks. „Warum hört das nie auf?“, ruft Jan. Keine Ahnung, aber es ist gut so, will der Rezensent denken. 

Aber irgendwann ist es doch vorüber. „Sohnemann Zwei“ macht den Sack zu. (Jedenfalls offiziell. Auf der D-Seite gibt es noch ein paar Hidden-Songs. Die sollen an dieser Stelle aus Kontinuitätsgründen unbeachtet bleiben.) Wie ein finstereres Pendant zum „Sohnemann Heinz“ kommt der Song daher. Resignierend, düster und auch angenehm realitätsnah steht der Rezensent am Rande dieser „Stadt der Angst“. Kaputt und fertig, traurig auch, den letzten Klängen hinterherhängend. Und er möchte diesen Songs glauben, er möchte sie ein weiteres mal hören und sich ein weiteres Mal darin wiederfinden. „Der Krieg ist nie vorbei/ So lange er sich lohnt.“ – Immer wieder, ja, immer wieder, lieber Turbostaat.

Band: Turbostaat
Album: Stadt der Angst
Lable: Clouds Hill
Veröffentlichung: April 2013

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