Vom Hasen der einen Tiger liebte
Ein Hase saß vor seinem Bau. Schon seit Stunden überlegte er,
was er tun sollte. Er grübelte und grübelte und kam doch zu keinem Schluss.
Seine Lage war verzwickt und ihm wurde ganz schwer um sein kleines Hasenherz,
wenn er daran dachte und da er, seit er sich vor seinen Bau setzte nichts
anderes tat, schaute der arme Hase arg traurig drein. Von Zeit zu Zeit ließ er
ein kleines Seufzen hören. Dies vernahm das Schwein, das gerade des Weges kam.
Nun weiß jedes Kind, dass Schweine sehr neugierige, sanfte und kluge Tiere
sind, viel neugieriger und sanfter und klüger als so mancher Mensch. Sich
fragend, was denn hier wohl der Sachverhalt sei, trat das Schwein an den Hasen
heran und fragte grunzend: „Was seufzt du denn kleiner Hase? Es wirkt ja fast
als würdest du es den Trauerweiden gleichtun wollen.“
Der Hase rutschte ganz intuitiv ein Stück näher an seinen Bau
heran. Tiere die größer waren als er selbst, machten ihm stets große Angst. Er
war schon ein arg ängstlicher Zeitgenosse.
„Ach“, sagte der Hase, „Liebes Schein, mein Hasenherz ist mir
so schwer.“
„Was kann es denn sein, dass es dich so steinerweichend
Seufzen ließe. Nichts in der Welt kann
doch derart schlimm sein“, das Schwein war ein waschechter Optimist.
„Doch, doch“, mümmelte der junge Hase und ließ seine Löffel
hängen, „Es ist so mein Schwein, ich habe mich verliebt und nun weiß ich weder
ein noch aus.“
Da lachte das Schwein gutmütig: „Mein lieber Meister Lampe,
das ist doch kein Grund zum seufzen.“ Wie gesagt, das Schwein war ein arger
Optimist. „Ich habe zwar keine Ahnung wie deinesgleichen liebt, aber dafür habe
ich selber schon so manche Erfahrung gemacht“, das Schwein war etwas älter und
erfahrener als der Hase. Es ließ sich auf seine hinteren Hachsen sinken und
begann auf einem Grashalm zu kauen: „Erzähl mir einstweilen, was dich bedrückt.
Bestimmt kann ich dir helfen.“
Der Hase blinzelte das Schwein an. Konnte er diesem
fleischigen Ungetüm trauen? ‚Es wäre doch arg peinlich, wenn jemand mit meinen
Belangen hausieren gehen würde‘, dachte der Hase. Doch die Verschwiegenheit des
Schweins war weithin bekannt, sogar bei den Menschen. ‚Und wenn so ein kluger
Ratgeber einem seine Hilfe anbietet, dann sollte man nicht zögern‘, ging es dem
Hasen durch seinen doch recht beschränkten Verstand. Also fasste er sich ein
Herz und begann seine kleine Geschichte: „Erinnerst du dich an den letzten
Herbst? Die Blätter sind schon gelb geworden, das Eichhörnchen war kurz davor
die Sammlung seiner Wintervorräte abzuschließen. Es roch bereits seit ein paar
Tagen nach Schnee.“
Das Schwein grunzte und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck
auf: „Damals verschwandt die Häsin aus deinem Bau.“
„Ja, ja“, muckerte der Hase, „Ich schickte sie fort. Sie war
ganz anders und ich denke, hätte ich sie nicht fortgeschickt, dann hätte sie
das Früher oder Später mit mir gemacht. Einer musste sich doch ein Herz fassen.“
Das Schwein schnaubte leise und begann mit seiner Schnauze im
Dreck zu wühlen. Diese Geschichte begann ihn zu langweilen.
„Ich vertrieb mir also meine Zeit und traf mich mit anderen
Junggesellen-Hasen und -Häsinnen. Was man eben so macht, wenn man frisch
alleinstehend ist und aus einer glücklichen – oder zumindest so gedachten –
Beziehung kommt.
So ging es eine ganze Weile recht gut. Die Wochen und Monate
gingen so dahin und ich hatte wenig Sorgen. Ich aß und trank, wann immer ich
wollte. Ich verkroch mich in meinem Bau so lange und so oft es mir beliebte.
Ich war redlich glücklich kann man sagen. Doch eines Tages wurde das alles
umgeworfen. Mein Freund der Dachs und ich, wir streiften gerade durch den Wald
und zogen an den Farnpflanzen, kratzten an Bäumen und erschreckten die
schlafende Eule, als wir einem ganz arg eigenartigen Tier begegneten. Wie du
weißt, liebes Schwein, ich bin nicht gerne im Wald. Es ist zu beengend und man
sieht die Gefahren nicht kommen. Wären wir an diesem Tag nur auf dem Feld geblieben,
dann wäre dieser Kelch an mir vorüber gegangen.
Aus dem Dickicht kam das seltsamste Tier geschritten, dass
ich je gesehen hatte. Es war groß, größer als der grimmige graue Wolf, aber mit
einem Kopf, wie die flinke Katze. Das Fell glänzte und war orange mit schwarzen
und weißen Streifen. Es sah sehr exotisch und wild aus und bewegte sich so
graziös, wie nichts was ich jemals zuvor sah. Ich starrte auf das Maul mit den
scharfen Zähnen und auf die Tatzen, die so groß waren, wie ich und ein
eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.
Der Dachs freilich stutzte nur kurz und wie es seine Art ist,
schritt er großmäulig und herausfordernd voran. Ich schlich bloß mit hängenden
Ohren und geducktem Kopf hinterdrein. Mein kleines Hasenherz machte einen
Sprung nach dem anderen. Doch der Dachs war fest entschlossen, sich von diesem
eigenartigen Tier nicht einschüchtern zu lassen. Er stakste drauf los – ich
hinterdrein – und baute sich vor dem Gestreiften auf. ‚Wer es denn sei? Und was
es hier wolle‘, fragte er barsch.
Es war die Tigerin, die da vor uns stand. Sie war neu in der
Gegend und kam von weit her, aus Indien – einem fernen Land hinter den Bergen
und dem großen Wasser. Ich lauschte gespannt den Worten der Tigerin,
beobachtete, wie sie sich bewegte, wie die Muskeln arbeiteten, wie das Fell
glänzte, die Fänge und Krallen blitzen. Mit zwei Sätzen war sie auf einem Baum
und blickte von dort, es sich auf dem Ast bequem machend, auf den Dachs und
mich hinab. Wir plauderten noch eine Weile und dann ging ein jeder seiner Wege.
Als ich in meinem Bau ankam, wusste ich schon nicht mehr, wo mir die Löffel
standen. Ich hoppelte umher und konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich
kannte nur noch an die schöne Tigerin denken.“
Des Hasens Augen leuchteten. Das Schwein hatte aufgehört im
Dreck zu wühlen und hörte jetzt aufmerksam zu. Der Hase ließ die Ohren wieder
hängen: „Aber das hat ja alles doch keinen Zweck.“
„Absolut“, pflichtete das Schwein bei. „Dies mag zwar eine
sehr verzwickte Situation sein, aber auch eine sehr obsolete“, das letzte Wort sprach
das Schwein sehr deutlich. „Da gibt es überhaupt keine Frage – Sie ist eine
Tigerin und du ein Hase. Sie frisst deinesgleichen.“
„Ich weiß doch, ich weiß“, jammerte der Hase. „Und dennoch …
Was soll ich jetzt tun?“
Das Schwein grunzte belustigt. Was für ein einfältiges Ding
der Hase doch war und wie gut, dass er des Weges gekommen war, um ihm einen Rat
zur Lösung seines Problems zu geben, dachte das Schwein gutmütig. Es sprach:
„Warte. Das geht vorbei. Du bist doch noch jung.“Da irrte sich das Schwein. Dem
Hasen lief die Zeit davon. Er würde nie so alt werden wie das Schwein und der
Hase wusste das.
Beide schwiegen eine Weile. Der Hase schien angestrengt
nachzudenken und das Schwein begann wieder im Dreck nach Nahrung zu suchen. – Irgendwo
hatte es einen leckeren Pilz gerochen. – Schließlich sagte der Hase: „Es gibt
nur eine Möglichkeit. Ich muss mich zusammenreißen und das beenden, ein für
alle Mal.“ Das Schwein, das zu sehr mit sich selbst beschäftigt war und wieder
nicht zugehört hatte, grunzte nur zustimmend.
Also fasste sich der kleine Hase ein Herz und zog davon. Er
grüßte das Schwein zum Abschied und das grüßte höflich zurück, aber nur
automatisch, denn es war immer noch zu sehr mit sich selbst und der Suche nach
dem so verheißungsvoll riechenden Pilz beschäftigt. Der Hase blieb lange weg.
Als der Abend kam und er immer noch nicht zurück war, wurde es dem Schwein zu
langweilig, schließlich hatte es schon alle Pilze gegessen und daher beschloss
es, seinerseits nach Hause zu gehen.
Am nächsten Morgen, es war ein schöner sonniger Tag, erzählte
die Spätzin dem Schwein, das der Hase von der Tigerin gefressen worden wäre.
„Was? Warum denn das?“, rief das Schwein empört.
„Er hat ihr seine Liebe gestanden und die Tigerin hat getan,
was Raubkatzen eben machen, wenn ihnen ein Hase zu nahe kommt“, zirpte die
Spätzin aufgeregt, die sich gar nicht halten konnte so erregte es sie diese
Neuigkeit ausposaunen zu können.
„Der närrische Hase sei nicht einmal weggelaufen, heißt es“
meckerte der Ziegenbock, der zufällig das Gespräch zwischen Spätzin und Schwein
gehört hatte. „Der Einfaltspinsel stand einfach da und erwartete den Tod.“
Das Schwein grunzte nur verächtlich: „Und dabei gab ich ihm
gestern noch so einen guten Rat. Er hätte sich von der Tigerin fern halten
sollen. So ein liebeskranker Hase.“
Da pflichteten die Tiere bei. Es war selbst schuld, wer nicht
auf den Rat des guten, klugen Schweins hörte.
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