Vom Hasen der einen Tiger liebte


"Vom Hasen der einen Tiger liebte" a short story by Wolf-Peter Arand
  Ein Hase saß vor seinem Bau. Schon seit Stunden überlegte er, was er tun sollte. Er grübelte und grübelte und kam doch zu keinem Schluss. Seine Lage war verzwickt und ihm wurde ganz schwer um sein kleines Hasenherz, wenn er daran dachte und da er, seit er sich vor seinen Bau setzte nichts anderes tat, schaute der arme Hase arg traurig drein. Von Zeit zu Zeit ließ er ein kleines Seufzen hören. Dies vernahm das Schwein, das gerade des Weges kam. Nun weiß jedes Kind, dass Schweine sehr neugierige, sanfte und kluge Tiere sind, viel neugieriger und sanfter und klüger als so mancher Mensch. Sich fragend, was denn hier wohl der Sachverhalt sei, trat das Schwein an den Hasen heran und fragte grunzend: „Was seufzt du denn kleiner Hase? Es wirkt ja fast als würdest du es den Trauerweiden gleichtun wollen.“ 
 Der Hase rutschte ganz intuitiv ein Stück näher an seinen Bau heran. Tiere die größer waren als er selbst, machten ihm stets große Angst. Er war schon ein arg ängstlicher Zeitgenosse.

 „Ach“, sagte der Hase, „Liebes Schein, mein Hasenherz ist mir so schwer.“

 „Was kann es denn sein, dass es dich so steinerweichend Seufzen ließe. Nichts in der Welt  kann doch derart schlimm sein“, das Schwein war ein waschechter Optimist.

 „Doch, doch“, mümmelte der junge Hase und ließ seine Löffel hängen, „Es ist so mein Schwein, ich habe mich verliebt und nun weiß ich weder ein noch aus.“

 Da lachte das Schwein gutmütig: „Mein lieber Meister Lampe, das ist doch kein Grund zum seufzen.“ Wie gesagt, das Schwein war ein arger Optimist. „Ich habe zwar keine Ahnung wie deinesgleichen liebt, aber dafür habe ich selber schon so manche Erfahrung gemacht“, das Schwein war etwas älter und erfahrener als der Hase. Es ließ sich auf seine hinteren Hachsen sinken und begann auf einem Grashalm zu kauen: „Erzähl mir einstweilen, was dich bedrückt. Bestimmt kann ich dir helfen.“

 Der Hase blinzelte das Schwein an. Konnte er diesem fleischigen Ungetüm trauen? ‚Es wäre doch arg peinlich, wenn jemand mit meinen Belangen hausieren gehen würde‘, dachte der Hase. Doch die Verschwiegenheit des Schweins war weithin bekannt, sogar bei den Menschen. ‚Und wenn so ein kluger Ratgeber einem seine Hilfe anbietet, dann sollte man nicht zögern‘, ging es dem Hasen durch seinen doch recht beschränkten Verstand. Also fasste er sich ein Herz und begann seine kleine Geschichte: „Erinnerst du dich an den letzten Herbst? Die Blätter sind schon gelb geworden, das Eichhörnchen war kurz davor die Sammlung seiner Wintervorräte abzuschließen. Es roch bereits seit ein paar Tagen nach Schnee.“

 Das Schwein grunzte und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf: „Damals verschwandt die Häsin aus deinem Bau.“

 „Ja, ja“, muckerte der Hase, „Ich schickte sie fort. Sie war ganz anders und ich denke, hätte ich sie nicht fortgeschickt, dann hätte sie das Früher oder Später mit mir gemacht. Einer musste sich doch ein Herz fassen.“

 Das Schwein schnaubte leise und begann mit seiner Schnauze im Dreck zu wühlen. Diese Geschichte begann ihn zu langweilen.

 „Ich vertrieb mir also meine Zeit und traf mich mit anderen Junggesellen-Hasen und -Häsinnen. Was man eben so macht, wenn man frisch alleinstehend ist und aus einer glücklichen – oder zumindest so gedachten – Beziehung kommt.

 So ging es eine ganze Weile recht gut. Die Wochen und Monate gingen so dahin und ich hatte wenig Sorgen. Ich aß und trank, wann immer ich wollte. Ich verkroch mich in meinem Bau so lange und so oft es mir beliebte. Ich war redlich glücklich kann man sagen. Doch eines Tages wurde das alles umgeworfen. Mein Freund der Dachs und ich, wir streiften gerade durch den Wald und zogen an den Farnpflanzen, kratzten an Bäumen und erschreckten die schlafende Eule, als wir einem ganz arg eigenartigen Tier begegneten. Wie du weißt, liebes Schwein, ich bin nicht gerne im Wald. Es ist zu beengend und man sieht die Gefahren nicht kommen. Wären wir an diesem Tag nur auf dem Feld geblieben, dann wäre dieser Kelch an mir vorüber gegangen.

 Aus dem Dickicht kam das seltsamste Tier geschritten, dass ich je gesehen hatte. Es war groß, größer als der grimmige graue Wolf, aber mit einem Kopf, wie die flinke Katze. Das Fell glänzte und war orange mit schwarzen und weißen Streifen. Es sah sehr exotisch und wild aus und bewegte sich so graziös, wie nichts was ich jemals zuvor sah. Ich starrte auf das Maul mit den scharfen Zähnen und auf die Tatzen, die so groß waren, wie ich und ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.

 Der Dachs freilich stutzte nur kurz und wie es seine Art ist, schritt er großmäulig und herausfordernd voran. Ich schlich bloß mit hängenden Ohren und geducktem Kopf hinterdrein. Mein kleines Hasenherz machte einen Sprung nach dem anderen. Doch der Dachs war fest entschlossen, sich von diesem eigenartigen Tier nicht einschüchtern zu lassen. Er stakste drauf los – ich hinterdrein – und baute sich vor dem Gestreiften auf. ‚Wer es denn sei? Und was es hier wolle‘, fragte er barsch.

 Es war die Tigerin, die da vor uns stand. Sie war neu in der Gegend und kam von weit her, aus Indien – einem fernen Land hinter den Bergen und dem großen Wasser. Ich lauschte gespannt den Worten der Tigerin, beobachtete, wie sie sich bewegte, wie die Muskeln arbeiteten, wie das Fell glänzte, die Fänge und Krallen blitzen. Mit zwei Sätzen war sie auf einem Baum und blickte von dort, es sich auf dem Ast bequem machend, auf den Dachs und mich hinab. Wir plauderten noch eine Weile und dann ging ein jeder seiner Wege. Als ich in meinem Bau ankam, wusste ich schon nicht mehr, wo mir die Löffel standen. Ich hoppelte umher und konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich kannte nur noch an die schöne Tigerin denken.“

 Des Hasens Augen leuchteten. Das Schwein hatte aufgehört im Dreck zu wühlen und hörte jetzt aufmerksam zu. Der Hase ließ die Ohren wieder hängen: „Aber das hat ja alles doch keinen Zweck.“

 „Absolut“, pflichtete das Schwein bei. „Dies mag zwar eine sehr verzwickte Situation sein, aber auch eine sehr obsolete“, das letzte Wort sprach das Schwein sehr deutlich. „Da gibt es überhaupt keine Frage – Sie ist eine Tigerin und du ein Hase. Sie frisst deinesgleichen.“

 „Ich weiß doch, ich weiß“, jammerte der Hase. „Und dennoch … Was soll ich jetzt tun?“

Das Schwein grunzte belustigt. Was für ein einfältiges Ding der Hase doch war und wie gut, dass er des Weges gekommen war, um ihm einen Rat zur Lösung seines Problems zu geben, dachte das Schwein gutmütig. Es sprach: „Warte. Das geht vorbei. Du bist doch noch jung.“Da irrte sich das Schwein. Dem Hasen lief die Zeit davon. Er würde nie so alt werden wie das Schwein und der Hase wusste das.

 Beide schwiegen eine Weile. Der Hase schien angestrengt nachzudenken und das Schwein begann wieder im Dreck nach Nahrung zu suchen. – Irgendwo hatte es einen leckeren Pilz gerochen. – Schließlich sagte der Hase: „Es gibt nur eine Möglichkeit. Ich muss mich zusammenreißen und das beenden, ein für alle Mal.“ Das Schwein, das zu sehr mit sich selbst beschäftigt war und wieder nicht zugehört hatte, grunzte nur zustimmend. 

 Also fasste sich der kleine Hase ein Herz und zog davon. Er grüßte das Schwein zum Abschied und das grüßte höflich zurück, aber nur automatisch, denn es war immer noch zu sehr mit sich selbst und der Suche nach dem so verheißungsvoll riechenden Pilz beschäftigt. Der Hase blieb lange weg. Als der Abend kam und er immer noch nicht zurück war, wurde es dem Schwein zu langweilig, schließlich hatte es schon alle Pilze gegessen und daher beschloss es, seinerseits nach Hause zu gehen.

 Am nächsten Morgen, es war ein schöner sonniger Tag, erzählte die Spätzin dem Schwein, das der Hase von der Tigerin gefressen worden wäre.

 „Was? Warum denn das?“, rief das Schwein empört.

 „Er hat ihr seine Liebe gestanden und die Tigerin hat getan, was Raubkatzen eben machen, wenn ihnen ein Hase zu nahe kommt“, zirpte die Spätzin aufgeregt, die sich gar nicht halten konnte so erregte es sie diese Neuigkeit ausposaunen zu können.

 „Der närrische Hase sei nicht einmal weggelaufen, heißt es“ meckerte der Ziegenbock, der zufällig das Gespräch zwischen Spätzin und Schwein gehört hatte. „Der Einfaltspinsel stand einfach da und erwartete den Tod.“

 Das Schwein grunzte nur verächtlich: „Und dabei gab ich ihm gestern noch so einen guten Rat. Er hätte sich von der Tigerin fern halten sollen. So ein liebeskranker Hase.“

 Da pflichteten die Tiere bei. Es war selbst schuld, wer nicht auf den Rat des guten, klugen Schweins hörte.

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