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Naive Wege

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„Jeder Tag ist eine Flucht und ich weiß nicht, wie lange ich noch fliehen kann. Ich spüre die Angst in mir, die unaufhörlich wächst, die blüht und gedeiht, in der Wärme der Sicherheit, die Angst, die sich nährt an der versteckten Unsicherheit und der Furcht.“ Er hört nicht auf zu reden, schon seit Stunden nicht. Immer wieder derselbe Quatsch. Er redet über seine Freunde, über Sid und Nancy, über A. und H. über seinen Bruder, der nie wirklich sein Bruder war, seine Ex lässt er aus, aber das kostet ihn viel, ich spüre das. Jeder würde das spüren.  Dafür weiß ich am Ende der Nacht alles über seine Ängste, ich weiß alles über sein Leben, das auch nur wie eine Aneinanderreihung von Befürchtungen, Vorurteilen und Pessimismus wirkt, wenn man es herunterbrechen wollen würde. Ich will es nicht. Ich will nur nach Hause, ich will den Park und die steinerne Mauer, auf der wir sitzen, hinter mir lassen. Ich bin müde. Die Sonne geht auf und ich bin müde. Immerhin muß mir b

Der Penny

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Ich trage seit einer ganzen Zeit einen amerikanischen Penny in meiner Hosentasche. Was macht so einen Penny besonders, mag man da fragen. Nun, jedes Kind weiß, dass die Kleingeldmünzen der USA keine Pennys sondern Cents sind. Insofern ist ein amerikanischer Penny schon etwas Besonderes. Entscheidender als das geographische Kuriosum, ist allerdings die Geschichte, wie ich zu diesem Penny kam. Sie ist tatsächlich einzigartig und soll mich daran erinnern nicht zu lügen. In meinem Fall ist das eine heikle Angelegenheit. Sagt schließlich schon eine ganze Menge über mein Verhältnis zum Lügen aus, wenn ich ein kleines Kupferstück brauche, um mich daran zu erinnern, es nicht zu tun. Damit die Geschichte Sinn macht, muss man sich Folgendes vorstellen: Ich lüge für gewöhnlich, wo und wie ich nur kann. Wenn mich eine Frau fragt, ob sie zu dick sei, sage ich, Nein, du siehst blenden aus. Wenn mich jemand fragt, wo die-und-die Straße sei, dann erlüge ich den Weg dahin, manchmal, s

Zwei Schwestern

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Ihre Finger flitzen wie Spinnen über die Tasten ihres Laptops. Es ist schon spät, kurz vor Mitternacht. In ein paar Stunden muss sie wieder aufstehen, sich zurecht machen und ins Büro fahren. Sie ist müde, ihre Augen schmerzen schon seit Stunden und ihr Rücken kann durch kein Strecken der Welt wieder eingerenkt werden. Doch sie schluckt diese Befindlichkeiten herunter, stark will sie sein, mit einer dicken Haut. „Frage nicht lange warum, mach es so wie man es dir sagt!“ Diese Weisheit hat sie in ihrer Kindheit gelernt und diese Weisheit ist es, nach der sie lebe will. Wie jeden Abend putzt sie sich exakt für fünf Minuten die Zähne, schminkt sich sorgfältig ab, cremt ihre Haut mit einer nächtlichen Pflegesalbe ein und geht dann, nachdem sie ihren Pyjama angezogen hat, ins Bett. Es ist ein eingespielter Rhythmus, der sich seit Jahren fast unverändert wiederholt. Sie konnte sich nie an ihre Träume erinnern. Sie wunderte sich nur selten darüber, sondern tat es stets mit eine

Der Himmel jenseits Berlins

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Ganz leis verklingen die Stimmen der Leute in der Nacht. Die kleine Gruppe hatte gerade Paulsens kleine Kneipe verlassen und war jetzt auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung; es war erst kurz nach eins und die Nacht noch viel zu jung., um schon den Weg nach Hause anzutreten. Darin waren sich alle einig. Uneinigkeit herrschte allerdings darin, wohin man sich nun wenden sollte. Aus der Stammkneipe kamen sie gerade, dort hatte für gute zwei Stunden die Luft gebrannt, alle waren ausgelassen und überschwänglich. Doch dann war die ganze Sache abgeflacht. Der DJ legte nur noch Müll auf und um dazu zu tanzen, waren die Freunde, trotz des mittlerweile beträchtlichen Alkohollevels, beim besten Willen nicht bereit. Soweit kam es noch, dass man sich dazu herab ließ, die Hüften zu blutleerer Musik kreisen zu lassen. Dann doch lieber die Kälte der Straße und die Aussicht auf Besserung im nächsten Club oder der nächsten Bar. Man hatte ja die Auswahl, warum also kleinkariert sein. Ein