Konzertreview: Turbostaat am 8.Februar 2014 im SO36, Berlin
Es ist soweit: Turbostaat haben
Berlin zur „Stadt der Angst“ erklärt und kommen für einen viertägigen
Konzertmarathon mit ihrem aktuellen Album vorbei. Es beginnt ganz klein am
05.02. im intimen Schokoladen. Am Abend drauf im Bi Nuu, in X-Berg unter dem
U-Bhf Schlesisches Tor gelegen. Freitag dann im stattlichen Lido und
schließlich am Samstag der Abschluss im SO36. In meiner ständig unbegründeten
Erwartung von Turbostaat endlich auch einmal enttäuscht zu werden, befürchte
ich nicht ganz unbegründet, dass die Reserven der Band nach drei
durchgespielten Nächten in Berlin vielleicht ein wenig überansprucht sein
könnten. Doch alles in allem freue ich mich wie ein Poppersack im Schnee. Also,
lasst sie mal spielen.
Ich werde mit drei Freunden ins
SO gehen. Zwei davon sind eher zufällig mit dabei. Ich würde nicht soweit
gehen, dass man sie beknien musste, damit sie mitkommen, ganz im Gegenteil.
Aber sie sind weder im Genre noch in der Banddiskographie übermäßig beheimatet.
Also wird zur Vorbereitung ein Crashkurs in Sachen Turbostaat ausgerichtet.
Alben rausgesucht, Korn & Sprite mit Merlot bereitgestellt und dann drehen
sich die Platten. Nach guten vier Stunden tingeln wir aufgeschraubt wie Schiffslucken
von 61 nach 36 und sind bereit für das Konzert.
Draußen heißt es warten und das
Wegbier leeren, Handkatze, wie mein Kumpel es nennt. Nach ein paar wunderbar
albernen Minuten sind wir drin. Jacken abgeben, durch den Menschenhaufen zur
Bar und neues Bier holen. Dann im Saal positionieren. Trinkend und rauchend –
illegaler Weise, aber hey, Punkrock und so.
Es ist schon alles gut voll, als
die Vorband beginnt – Findus. Eine gute Wahl in vielerlei Hinsicht. Im
Dunstkreis von Bands wie Matula, Captain Planet, Dackelblut, Duesenjaeger, Love
A oder eben auch Koeter kennt man die Truppe, die ihr neues Album „Vis á Vis“
am Start hat und ein solides Set spielt. Es zeigt sich recht deutlich, wer sich
vom Publikum auskennt und wer nicht. Eine schöne wunderbare Balance für eine
Vorband. Nicht alle singen mit, aber die Gesichter schauen zufrieden und vor
der Bühne gibt es auch schon geflissentliches Aufwärmtraining für das, was
kommt. Als dann Findus „Feuer in Paris“, ihren Hit vom letzten Album „Mrugalla“
anstimmen, ist der Funke tatsächlich schon übergesprungen. Es gibt eine ganz
großartige Specialdeluxeversion, auf der Turbostaatler Jan dem Song seine
Stimme lieh, insofern ist die Verbindung zwischen Band und Publikum an diesem
Punkt unausweichlich.
Dann Pause, Wasserreserven mit
Bier aufgefüllt, Zigarette geraucht. Mittlerweile rauchen alle offen, ist eh
eine alberne Regel. Die Leute sind in heller Vorfreude, scherzen, lachen und
werden immer unruhiger. Rennpferde kurz vor dem Start.
Die ersten stampfenden Töne von „Phobos
Grunt“ erklingen und der Saal implodiert in einer Kettenreaktion aus Freude und
irrer Hingebung. Als das Schlagzeug einsetzt, ist unsere kleine Gruppe
innerhalb von Sekunden zerpflückt. Jetzt kämpft jeder für sich in und als Teil
der Masse, die von den norddeutschen Jungs auf der Bühne durch ein rasantes Set
getrieben wird.
Alles schwitzt und johlt und
springt singend herum. Ein wildgewordener, unglaublich textsicherer Haufen.
Eigentlich könnte Jan einpacken und Rotze, Marten, Tobert und Peter müssten nur
den musikalischen Teppich für das Sangestalent des Publikums ausbreiten. Aber
Jan keift eisern mit und erst nach vier Songs kommt mit „Insel“ eine Nummer,
die wenigstens eine entfernte Ähnlichkeit zu einer Verschnaufspause aufweist …
jedenfalls was die Geschwindigkeit angeht. Unsere Stimmbänder erfahren ihre
erste Zerreißprobe. Wie wunderbar es ist, „HUSUM! VERDAMMT NOCHMAL!“ zu
skandieren. Die wollen nur spielen und wir lassen sie. Es ist schlichtweg
beeindruckend, wie konstant, ohne Absacker diese Truppe durch ein siebzehn
Stücke zählendes Hauptset peitscht und wie das SO dazu bereitwillig schwitzt
und ausrastet und nicht genug kriegen kann, obwohl wir alle schon fertig sind.
Nach „Schwan“ ist der Hauptteil
dann zu Ende. Fast sachte und versöhnlich. Ja, wir kommen alle mit und schon
beginnt brachial die erste Zugabe. Die nicht zu bändigende Welle, die da
„Kussmaul“ heißt, fegt über uns hinweg, mit diesem rollenden Basslauf und der
erdrückenden Wand aus Gitarren und Schlagzeug. Wir brüllen dagegen an, aber was
hilft das?
Als ich dachte, dass die Stimmung
im Saal nicht mehr aufgekratzter sein könnte übertrifft sich die Situation
selber. Mit einem einfachen Trick zur richtigen Zeit gespielt, lassen die
verschwitzten Herren auf der Bühne diesen schönen Abend großartig werden. Sie
zaubern Arnim von den Beatsteaks aus dem Hut und spielen mit ihm zusammen
„Frieda und die Bomben“. Punkt. Danach stehen zwei Dinge fest: 1. Ich habe
selten einen Saal voller schöner, ramponierter und ausgelaugter Zuhörer in
diesem Maße durchdrehen sehen. 2. Turbostaatkonzert ist gleich Verrückt. Irre.
Psychoreal.
Nach der zweiten Zugabe bin ich
dann zusammen mit allen Beteiligten derart hübsch verbeult und schweißtriefend,
dass es mich nur noch dezent schwankend auf den Beinen hält. Die Luft kann
geschnitten werden und wer es wagt, länger stehen zu bleiben als nötig, klebt
am Boden fest. Von der Decke tropft kalter Schweiß und der Weg raus auf die
Straße und zum nächsten Späti ist ein einziger rauschender Gang auf Federn.
Dort werden die Wasserreserven aufgefüllt mit 1,5 Litern Wasser am Stück. Ich
schaue mich um, blicke in die verschwitzten Gesichter meiner Freunde und bin
froh, dass meine Bedenken wiedermal unbegründet waren. Ein bisschen schäme ich
mich auch, doch nicht zu lange.
„Wir können alles und alles können wir sein!“ – Nach solchen Abenden bin ich mir dessen sicher.
„Wir können alles und alles können wir sein!“ – Nach solchen Abenden bin ich mir dessen sicher.
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