"Viva Allein!"



"Viva Allein!" a short story by Wolf-Peter Arand

Ich lasse mich auf meinen Drehstuhl fallen und schalte den Laptop an. Das leise Piepsen sagt mir, dass er startet und ich spüre, die altvertraute Galle in mir aufsteigen, der Widerstand und die Verachtung, die mich fünf Tage die Woche heimsucht wie ein Gespenst.

Es hat mich eine Weile gekostet, bis ich darauf kam, was dieses flaue Gefühl im Magen zu bedeuten hatte. Doch schließlich begriff ich es: Ich hasste diesen Job. Das war keine Frage von Einstellung oder eine Phase. Es hing nicht mit aufgeblasenem Rebellentum oder versteckter Faulheit zusammen. Ich hasste diesen Job einfach. Und ich bekam immer mehr den Eindruck, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich hatte kontinuierlich das Gefühl, verfolgt und beobachtet zu werden. Keiner meiner Handgriffe schien sinnvoll oder begründet. Es war Beschäftigungstherapie, Routine, die mich mit ausreichend Zeit umbringen würde. Nicht körperlich. Ich wäre noch immer da, würde herumlaufen und atmen, aber ich würde hohl sein, wie ein ausgeblasenes Ei, wie die digitalen Werte, die wir hin - und herschoben – signifikant ohne Signifikat.

Der Blick wandert hinüber zu einem meiner Chefs, dynamisch älter und doch wesentlich jünger als ich. Einer von diesen neuen Menschen, die heutzutage die Städte bewohnen, die alles wissen und nichts verstehen, jene jugendlicheren Ebenbilder der 60er-Jahre - Spießer, die Niemande, die Mr. Jones. Bei meinen beiden anderen Vorgesetzten ist es nicht anders, oder nur marginal. Für den einen ist es keine Frage des Geldes, es ist nicht so, dass er seinen Lebensunterhalt verdienen müsste. Für ihn ist es nur ein Zeitvertreib, eine Ablenkung von einem ansonsten erbärmlich langweiligen Leben. Und dieser Zeitvertreib kommt mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten – Leute schikanieren, sich selbst präsentieren, Arbeit dirigieren. Eben alles, was er schon sein ganzes Leben lang nicht anders kennt.

Für den Zweiten der Drei ist es ein bisschen anders. Er ist still und hält sich zurück, versteht, was er tut und will auch sonst nichts anderes. Zumindest ist er nicht derart prätentiös wie die anderen beiden. Allerdings kann er es dann doch nicht verhindern, sich von Zeit zu Zeit in Dinge einzumischen, die er nicht wirklich versteht. Als Chef kann man eben doch nicht diesem kreischenden, wichtigtuerischen Impuls widerstehen, nicht immer, ist nur menschlich.

Mein direkter Vorgesetzter ist ein kleiner Mann. Zu dem obligatorischen Start-Up-Dynamikgehabe kommt also noch der altbewährte Napoleonkomplex hinzu. Den braucht er wahrscheinlich auch, um sich gegen seine beiden Partner durchzusetzen. Die Stimmung zwischen den Dreien ist nicht die beste. Dem Ruhigen kommt dabei eine Vermittler- und Unterhändlerposition zu, die den Kleinen und den Langen dazu bringen muss, sich nicht gegenseitig die Augen auszukratzen. Wie diese Drei überhaupt dazu kamen, miteinander zu arbeiten, bleibt ein Rätsel. Doch ist es wahrscheinlich der gleiche Grund wie sonst auch – Geld. Es geht immer nur um Geld in solchen Firmen. Die meisten dieser Start-Ups setzen alles daran, in ein paar Jahren von einem größeren, internationaleren Konkurrenten geschluckt zu werden. Die Chefs bekommen dann so viel Geld, wie sie es mit ihrem kleinen Unternehmen nie verdienen könnten.

Es herrscht eine Faszination fürs Geldmachen in diesem Umfeld, die alles übertönt, die stinkend und faul auf den Handlungen liegt. Das Geld als abstraktes Produkt ist dabei sogar fast irrelevant, es ist kein wirklicher Fetisch mehr, eher das Sublimat, das Objekt, an dem sich der eigentliche Fetisch abarbeitet. Der wirkliche Fetisch ist die Handlung des Geldmachens und die hat bereits tiefe neurotische Ausprägungen angenommen. Es wäre wahrscheinlich gänzlich gleich, ob es sich bei dem, was meine Chefs verkaufen, um Geld oder Drogen oder Kuchen handeln würde. Die Hauptsache ist, dass es Geld einbringt, denn nichts ist rauschhafter oder geht mit ähnlichem Prestige und Einfluss einher. Es ist eine triste Umgebung, wenn man darüber nachdenkt, auch ohne Küchenpsychologie und die prophylaktischen Pseudoweisheiten, derer ich allerlei vorrätig habe; ich habe nunmal viel Zeit in meinem Job.

Der Desktop meines Computers öffnet sich und es dauert eine Weile, bis die Funktionen zur Gänze geladen sind. Der Computer ist alt, zu geringe Leistungsfähigkeit, um ein stetes, flüssiges Arbeiten zu ermöglichen. Ich bin eben das vorletzte Licht in der Kette und so ein Start-Up muss seinen Gewinn wo und wie es nur kann maximieren. Am liebsten in den Gehältern, daher die ganzen schlecht bezahlten Praktikanten, die für nichts bis 400€ fast 40 Stunden pro Woche ihres kostbaren, jungen Lebens vor einem Bildschirm absitzen, anstatt zu lernen, zu essen, zu schlafen, zu ficken, oder einer der anderen 1000 Beschäftigungen nachzugehen, die sinnvoller sind, als sich in einem unterbezahlten Job ausbeuten zu lassen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre? Alle, die sich diesen Spruch auf die Stirn tätowiert haben, können mich mal, mich, den Typen, der für 600 Tacken im Monat, von Montag bis Freitag acht Stunden auf seinem Drehstuhl für drei Typen mit bemitleidenswerten Midlifecrises‘ absitzt.

Ich wünsche mich zurück in mein Bett, aber das ist normal. Das Öffnen des Mailpostfaches wird mit einer erschreckend hohen eingeklammerten Zahl neben dem Postfacheingang bestraft: Ein ganzer Haufen unbeantworteter Mails, die meisten von meinem Chef, mit Dingen und Ideen davon, was ich machen sollte.

Mails schreiben, Blogeinträge aus den Meldungen anderer zusammenkleistern und anschließend auf den einschlägigen Socialnetworkdiensten promoten. Noch mehr Mails beantworten.

Es sind diese Momente, in denen es mir scheint, dass mein Leben zu einer Blaupause, einem Repetetiv auf Ewigkeit verkommen ist, eine gerissene Schallplatte, auf der die Nadel immer wieder springt, gefangen in ihrer Wiederholung.

Meine Gedanken beginnen zu tanzen und zu wandern. Ich denke mich zurück, Stück für Stück, aus dem Büro hinaus und in die U-Bahn, in der ich jedes Gesicht zu kennen glaube. Vielleicht weil es tatsächlich so ist, vielleicht weil die Alltäglichkeit der Jahrzehnte sie alle gebrochen hat, sie alle eingepasst hat in die Schablonen und Leerstellen. Zwischen all dieser Eintönigkeit eine einzige erfrischende Gestalt, ein verlorener Nachtfalke, der den Weg nach Hause noch nicht geschafft hat. Er macht mir Mut und erinnert mich an bessere Zeiten. Er starrt mich an, ich nicke ihm anerkennend zu. Ich weiß, dass er es nicht sieht, dass sein Blick nur auf seine Endstation gerichtet ist, dass hinter seiner Stirn alles nur auf Notstrom läuft, gerade genug, um es bis nach Hause ins Bett zu schaffen.

Ich gehe einen Schritt weiter zurück und trete in X-Berg aus der U-Bahn. Raus aus der Station, an dem Typen in der Armeejacke vorbei, mit den zotteligen Haaren und den rosa Kopfhörern, der sich in einer Ecke des Bahnhofs stehend jeden Morgen sein Crackpfeifchen anzündet. Raus und über die Straße zur großen Tür, hinter der der Flur liegt, von dem meine Wohnung abgeht. Ich esse noch einmal Frühstück, trinke Kaffee und krieche zu meiner Freundin unter die Bettdecke. Und dort bleibe ich, schmiege mich an sie und ihren tollen Hintern, von dem sie immer jammert, dass er zu dick sei. Ich bin zufrieden und sicher, und spüre eine innere Ruhe.

Wie ein Nazi auf einem Dinosaurier reißt mich mein Chef aus meinen Gedanken. Er will etwas wissen, ich antworte, kurz prägnant, ruhig, er nennt es unmotiviert. Ich blinzle ihn an und bin kurz davor zu sagen, dass er mit seiner Beobachtung vollkommen richtig liegt, dass mich diese Sache hier einen Scheiß interessiert, dass er von seinem hohen Dinoross und dem Glauben, er tue mit seinen 3,50 die Stunde einen Gefallen, runter kommen solle. Aber ich tue es nicht. Ich weiß, dass er es nicht so spaßig aufnehmen würde, ich klemme feige meinen Schwanz ein und denke mir meinen Teil. Er wartet meine Antwort nicht ab und reitet mit seinem Dinosaurier zum nächsten Meeting mit irgendeinem Investor oder sonst einer ominösen Gestalt. Das Meeting ist Brunch, an dessen Ende der Investor etwas Unverfängliches sagt, sodass alle das Gefühl haben, sie hätten ihr Gegenüber jetzt aber so ordentlich über den Tisch gezogen.

Ich mache meine Arbeit. Tippe eine Mail nach der anderen, denke an mein Mädchen, das zu Hause schläft, wünsche mich zu ihm zurück und versuche, nicht an die hirnlose Sinnlosigkeit meines Tuns zu denken. Es wird sich nichts bewegen, nichts lösen oder verbessern, solange ich hier sitze. Und wenn ich hier nicht meine Zeit abreiße, dann gibt es jemand anderen, der sich ebenfalls für 3,50 krumm macht, den es aber vielleicht weniger kümmert.

Ich starre aus dem Fenster, tippe und klicke umher, wartend auf die Mittagspause, die ich in der Mensa verbringe, die ich willkommen heiße, wie einen Segen, in der ich denke, dass alles gut sein könnte, wenn ich nicht wieder zurück müsste. Und die Zeit fliegt. Ich koste jede Minute aus und verzögere meine Rückkehr ins Büro so gut ich kann.

Meine Chefs sind noch nicht zurück, als ich durch die Tür trete. Ich starte den Laptop, hole mir einen Kaffee, starre auf den Bildschirm und warte. In meinem Kopf entspinnen sich Attentatsszenarien, ich denke an die Bundestagswahl, Bier, Zigaretten, wieder an den Hintern meiner Freundin. An Fußball denke ich nicht, denn ich bin kein großer Fußballfan. Aber ich denke an Hemingway, Hasselhoff, Heine, Bukowski, Bogart, Breschnew, Capote, Cap und Capper, an jene, die mir nichts bedeuten und jene, deren Schaffen alles für mich ist.

Ich setze mir Kopfhörer auf und höre „Guerilla Radio“ und die „The Shape of Punk tocome“, „Keine Überdosis Deutschland“ und „Kein Gerede“, „Die Seeräuberjenny“ und „Shipping up to Boston“. Alles nur, um nicht an der Trostlosigkeit meiner Routine zu zerbrechen.

Die meiste Zeit blickt mein Chef über die Kopfhörer hinweg. Er lässt mich gewähren, solange ich ihm Respekt zolle und die Kopfhörer von den Ohren reiße, sobald er mit mir spricht. Die guten Tage sind jene, an denen er kein einziges Wort an mich richtet, an denen er mich in Ruhe lässt und nicht mehr als zur Begrüßung und Verabschiedung mit mir spricht. Die wenigsten Tage sind so, auch wenn er versucht, den Großteil unserer Konversation auf eMails auszulagern, die er und ich uns zwischen den zwei Metern Luftlinie, die unsere Schreibtische auseinander liegen, hin - und hersenden.

Irgendwann ist es dann endlich 18:00. Ich wanke aus dem Büro, die Kehle durstig und der Kopf leer. Die haben es geschafft, denke ich noch, die haben mich kaltgestellt und dann spüre ich einen Stich, dort in der Brust. Ich gehe zum nächsten Späti, hole mir ein Bier und während ich es trinke, habe ich Angst, dass ich dieser oder einer ähnlichen Routine für die nächsten paar Jahrzehnte nicht entrinnen werde. Ich bin mir sicher, dass dies nicht das Leben war, das ich mir als kleiner Junge wünschte. 

Als ich nach Hause komme, ist niemand da. Ich lege die „Treibeis“ auf und lasse mich ein bisschen anbrüllen, dann falle ich auf mein Bett. Es ist noch alles genau so, wie ich es heute Morgen zurück ließ, alles, bis ins kleinste Detail. Und dann hilft auch die Flucht nicht mehr. „Viva allein!“


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