Kommentar: Günther Grass sagt nichts…
Der verdiente Nobelpreisträger Günther Grass hat ein
Gedicht geschrieben. Und alle Welt horcht auf. So wie es sein muss, bei einem
solchen literarischen Schwergewicht. Doch was dort als Gedicht daherkommt, ist
nicht mehr als ein verkrüppelter Leserbrief. Die von Grass geäußerte Meinung
ist streitbar. Doch die Diskussion um das Gedicht „Was gesagt werden muss“
läuft in eine falsche Richtung. Herrn Grass laut „Antisemit“ entgegen zu
brüllen, ist natürlich Quatsch - so etwas ist der Verfahrensstil der
Springerpresse und zeugt kaum von einer differenzierten Auseinandersetzung mit
der Thematik. Grass' Artikel ist gleichwohl eine Verkrüppelung eines
Sachverhalts, der wesentlich problematischer ist. Grass füttert seine Leser mit
Halbwahrheiten.
Natürlich ist es kritikwürdig, dass die israelische
Regierung unter der Hand Atombomben baut, sich nicht an den NPT hält. Ebenso
ist es kritikwürdig, dass Deutschland U-Boote verkauft, dass Deutschland der
drittgrößte Waffenexporteur ist. Was Grass' ‚Gedicht‘ so problematisch macht,
ist vielmehr seine Haltung, dass er der arme Verfolgte sei, der endlich die
Wahrheit spricht, weil es sonst keiner tun würde. Was schlicht falsch ist. Es
existiert eine ausgewogene Berichterstattung auch in den Mainstreammedien (und
ich sehe Zeitungen wie SZ, FAZ und ZEIT schon noch als Mainstream an). Von
Grass' Seite ist es eine gefährliche und vor allem fragwürdige
Überdramatisierung.
Würde es sich bei „Was gesagt werden muss“ um einen
Leserbrief von Herrn oder Frau X aus Y handeln, wäre dies verzeihlich. Die etwas
schiefen Äußerungen würden schlichtweg niemanden interessieren, kämen sie nicht
von Herrn Grass (und würde sich nicht in der Folge auch der Rest der Welt darum
kümmern). Aber als ausgezeichneter Literat, der in der Vergangenheit stets ein
Mitspracherecht einforderte, einen derart unreflektierten Mumpitz zu
verbreiten, sich damit nach eigenem Verständnis in der Tradition Lessings,
Goethes, Heines und Brechts zu sehen, zusätzlich gänzlich das Format zu
verfehlen und dann auch noch zu behaupten, es laufe eine verdeckte Kampagne
gegen ihn, das ist einfach unsinnig.
Das Gedicht selbst ist handwerklich und inhaltlich
schlicht mangelhaft und kommt über das Niveau eines Schülers der erste
Sekundarstufe nicht hinaus. Seine sprachliche Form ist unbeholfen und bis auf
die Gestaltung in Vers und Strophe hat es mit einem Gedicht nichts gemein. Was
nebenbei nicht weiter verwerflich wäre, da die Gedichtform sehr weit gefasst
ist. Was vorzuwerfen bleibt, ist der Zweifel, den das Gespann Inhalt und Form
produzieren. Ist es nun ein Gedicht oder doch nur ein Statement, ein Leserbrief
oder ähnliches? Ich weiß es nicht, Grass scheint es nicht zu wissen. Schlicht,
das Gedicht weiß von seiner Form her nicht, wo es hin will und vom Inhalt wird
es seinem sich selbst und durch seinen Autor angelegten Anspruch nicht gerecht.
Stattdessen macht es sich mit der Rhetorik der Springerpresse gemein - ich
erinnere daran, dass dieser Mann einen LITERATURNOBELPREIS innehat. Und dies
ist tatsächlich das Einzige, was wirklich einmal gesagt werden muss.
Dieses Gedicht kann sich leider in keinerlei Weise mit
Werken ähnlicher literarischer Schwergewichte messen, zu denen sich Grass
schließlich gezählt wissen will. Leider betrifft dies sowohl den Inhalt als
auch die Form. Inhaltlich fehlt die Tiefe. Die Form des Gedichts gleicht eher
einem verunglückten Leserbrief als einem Gedicht. Selbst Dada ist oftmals
lyrischer als "Was gesagt werden muss". Dies wäre nicht weiter
schlimm, erzeugt aber leicht den Eindruck, dass Herr Grass schlicht zu feige
war, einen Leserbrief oder ähnliches zu formulieren und zur lyrischen Form
griff, da diese den Autoren weniger angreifbar macht. Herrn Grass ist es in
gewisser Weise leichter möglich, sich hinter seinem lyrischen Ich zu
verstecken. Doch warum dieses Bestreben, was gäbe es denn zu verbergen?
Schließlich ist es, wie verschiedene Stellen zu Grass' Verteidigung beitrugen,
ein per se redliches Anliegen, vor einem dritten Weltkrieg zu warnen. Doch aus
diesem Gedicht spricht ein tiefliegendes schlechtes Gewissen. Woher sich dieses
speist, darüber bleibt zu spekulieren, doch es bleibt zu fragen, warum jemand,
der gegenüber dem Volke Israel nur lautere Gedanken hegt, stets und ständig
betonen muss, dass er eben jene lauteren Beweggründe hat. Weiter bleibt zu
fragen, warum dieser, vermutlich recht kluge Mann, es versäumt in diesem
Gedicht eine konkrete Bezeichnung zu wählen. Er selbst sagte im Nachhinein,
dass er ja eigentlich die aktuelle israelische Regierung kritisieren wollte.
Ohne Frage ist dies berechtigt und ohne Frage wird eine solche Kritik auch
regelmäßig angebracht - darauf hinzuweisen, einen solchen Diskurs zu erhalten,
wäre auch nicht verwerflich. Aber warum nicht eine solche Konkretisierung? An
dem Bruch der lyrischen Form kann es nicht liegen.
Es offenbaren sich eine Menge Löcher, wenn man sich
konkret mit Grass' Gedicht auseinandersetzt. Und bei einer solch heiklen
Thematik und in Anbetracht der Grass'schen Vergangenheit, wirken solche Löcher
schnell zwielichtig. Daher sei ein gesunder Skeptizismus angebracht.
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